Ein Reisender steigt in in den ICE-L am niveaugleichen Eingang ein. Foto: Talgo
Ein Reisender steigt in in den ICE-L am niveaugleichen Eingang ein. Foto: Talgo

Deutscher Bahnkunden-Verband e. V. und IGEB Fernverkehr

Der neue ICE L: Erstmals DB-Fernverkehrszug mit stufenlosem Einstieg

Im Rahmen eines Workshops der Bahnkundenverbände stellte die Deutsche Bahn am 13. September 2022 auch den ersten Wagen des neuen ICE L vor. Das „L“ steht dabei für das englische Wort „low floor“, d. h. „Niederflur“. Die vollständige Zuggarnitur besteht später einmal aus insgesamt 17 Reisezugwagen incl. einem Steuerwagen und einer Mehrsystemlok. Somit ist ein grenzüberschreitender Einsatz ohne Lokwechsel möglich. Es besteht jedoch auch die Möglichkeit des Einsatzes anderer Loktypen, so beispielsweise von Zweikraftloks für den Einsatz sowohl auf elektrifizierten als auch auf nicht elektrifizierten Streckenabschnitten. Hergestellt werden die Züge beim spanischen Unternehmen TALGO. Die Gesamtlänge dieser betrieblich nicht trennbaren Zugeinheit beträgt 236 Meter, bei Berücksichtigung der Lok knapp 256 Meter. Insgesamt sind im ICE L 562 Sitzplätze vorhanden, davon 85 Plätze in der ersten und 477 Plätze in der zweiten Wagenklasse. Es kommen dabei neu entwickelte, vorab mit Probanden intensiv getestete Sitztypen zum Einsatz. Auch ein Restaurantwagen ist Bestandteil des Zuges, der sowohl mit Sitzgruppen (insgesamt 12 Sitzplätze) als auch mit Stehtischen ausgestattet ist. Des Weiteren gehört zur Ausstattung des Zuges auch ein Kleinkindabteil und ein Familienbereich mit insgesamt vier Stellplätzen für Kinderwagen. Für Reisende mit Rollstuhl sind drei Plätze vorgesehen, die mit elektrisch höhenverstellbaren Tischen ausgerüstet sind. Unbefriedigend dagegen: Abgesehen von einem rollstuhlgerechten WC sind die übrigen Toilettenräume des ICE L sehr eng und erinnern an die unbequeme Situation in Reisebussen. Knapp bemessen ist auch die Kapazität an Fahrradstellplätzen: Gerade einmal acht Stellplätze sind pro Zugeinheit geplant. Angesichts der vorgesehenen Einsatzstrecken schwerpunktmäßig auf touristischen Strecken ist dies zu wenig. Eine Anzahl von mindestens zwölf Stellplätzen wäre daher sinnvoll. Mobilfunkdurchlässige Scheiben sollen bei diesen Zügen für einen stabilen Empfang beim Telefonieren sorgen. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit des ICE L beträgt 230 km/h. Eine größtmögliche Energieeffizienz im Betriebseinsatz wird durch Wagenkästen in Aluminium-Leichtbauweise und durch die für die TALGO-Züge typischen Einzelrad-Fahrwerke ermöglicht (statt der Verwendung von Drehgestellen, von den Endwagen des Zugverbands einmal abgesehen). Der nunmehr erste Abruf von insgesamt 23 Zügen hat einen Wert von rund 550 Millionen EURO und ist damit bislang nur ein Teil des im Jahr 2019 zwischen Deutscher Bahn und TALGO geschlossenen Rahmenvertrags über die Lieferung von insgesamt 100 ICE L.

Einsatz des ICE L ab Oktober 2024

Der ICE L kommt schrittweise ab Oktober 2024 in den Fahrgasteinsatz und damit rund ein Jahr später als ursprünglich einmal geplant. Die neuen Züge werden zuerst auf der im Zweistundentakt verkehrenden IC-Linie 77 Berlin – Amsterdam die heutigen Intercity-1-Züge ersetzen. Darüber hinaus werden ICE L voraussichtlich ab dem Jahr 2026 auch auf den touristisch wichtigen Verbindungen nach Westerland (Sylt) und Oberstdorf eingesetzt. Unverständlich jedoch: Angesichts der nunmehr geplanten Zuglänge des ICE L von 256 Metern ist keine Zugteilung bzw. Direktverbindung Berlin – Niebüll – Dagebüll (Mole) als Ersatz für die bisher in der Saison angebotene Kurswagenverbindung mehr möglich. Dieses umsteigefreie Angebot stellt jedoch einen wichtigen Zubringer für Urlauber zu den Nordseeinseln Föhr und Amrum dar. Eine eigenständige, saisonale Zugleistung z.B. in der Relation Dresden – Berlin – Hamburg – Niebüll – Dagebüll (Mole) ist daher eine sinnvolle und umweltschonende Alternative zum Pkw. Denn für den Tourismus in Schleswig-Holstein haben direkte Zugverbindungen aus anderen Teilen Deutschlands, u. a. zu den Fähranlegern in benanntem Ort, große Bedeutung.

Erfreulich: Stufenloser Ein- und Ausstieg in allen Wagen möglich

Der ICE L setzt erfreulicherweise in Bezug auf die Barrierefreiheit ganz neue Maßstäbe. Bei sämtlichen Türen des ICE L ist, bezogen auf Standard-Bahnsteighöhen von 760 mm, auch im Fernverkehr ein stufenloser Einstieg möglich! Reisende, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, kommen auf diese Weise ohne fremde Hilfe in bzw. wieder aus dem Zug. Aber auch für Familien mit Kinderwagen, Reisende mit Rollkoffern und Reisende, die ein Fahrrad mitführen oder einen Rollator benötigen, wird der Ein- bzw. Ausstieg gegenüber allen bisherigen ICE-Baureihen wesentlich einfacher und bequemer. Zudem können Fahrgastwechselzeiten in Bahnhöfen auch verkürzt werden.

….aber im ICE weiterhin die Ausnahme

Trotz der mit dem ICE L realisierten Barrierefreiheit ist dies leider selbst bei neu bestellten ICE-Zügen noch immer die Ausnahme: So hatte die Deutsche Bahn erst im Juli 2020 insgesamt 30 Triebzüge vom Typ ICE 3neo bei Fa. Siemens bestellt. Der erste Zug wurde innerhalb von zwölf Monaten nach Vertragsabschluss und damit nach einer vergleichsweise kurzen Zeit fertiggestellt. Am 01. Februar 2022 erfolgte im ICE-Instandhaltungswerk Berlin-Rummelsburg die offizielle Vorstellung des Zuges. Im Rahmen dieser Präsentation wurde bekannt gegeben, dass die Deutsche Bahn nunmehr 43 weitere Züge des ICE 3neo in Auftrag gegeben hat. Alle 73 Triebzüge sollen bis 2029 ausgeliefert werden. In dem für 320 km/h zugelassenen ICE 3neo (Baureihe 408) tragen zwar verschiedene erfreuliche Neuerungen, so beispielsweise mobilfunkdurchlässige Scheiben und – wie beim ICE L – acht Fahrradstellplätze zum verbesserten Service bei. Aber: Keine wesentlichen Verbesserungen sind mit dem ICE 3neo bezüglich der Barrierefreiheit erreicht worden! Reisende, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, können in den Zug nur mittels eines (allerdings technisch verbesserten) Hublifts ein- bzw. wieder aussteigen. Für alle anderen Bahnkunden bleibt es bei den unbequemen Einstiegen über Stufen an den Wagenenden. Grundlegende Verbesserungen bezüglich der Barrierefreiheit im ICE-Netz können somit – abgesehen vom ICE L – angesichts einer Lebensdauer von rund 30 Jahren wiederum nur langfristig mit einem erst noch zu entwickelnden ICE 5 bzw. im Rahmen des Projekts „Hochgeschwindigkeitsverkehr 3.0 (HGV 3.0)“ realisiert werden. Im Fall des ICE 1, mit dem im Jahr 1991 in Deutschland die Ära des Hochgeschwindigkeitsverkehrs begann, wird durch verschiedene Technik- und Komfortmaßnahmen ein Weiterbetrieb nun sogar bis ins Jahr 2030 erreicht. Die Situation bleibt damit im Fernverkehr der Deutschen Bahn weiterhin unbefriedigend, obwohl mit dem von Fa. Stadler gebauten EC250 „Giruno“ der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) heute bereits ein Hochgeschwindigkeits-Triebzug existiert, bei dem benannte Probleme gelöst wurden. So verfügt benannter Triebzug der SBB, der für eine Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h zugelassen ist, über angepasste Niederflureinstiege nicht nur für 760 mm hohe, sondern sogar auch für 550 mm hohe Bahnsteige. Insgesamt 29 „Giruno“ wurden im Jahr 2014 bestellt und sind mittlerweile komplett ausgeliefert. Im laufenden Jahr wurden durch die SBB nunmehr sieben weitere „Giruno“ bestellt, mit denen voraussichtlich ab dem Jahr 2026 via Basel verschiedene Ziele in Deutschland bedient bzw. weitere Direktverbindungen geschaffen werden sollen. Vor der übereilten jüngsten Nachbestellung weiterer 43 ICE 3neo hätte mit dem Ziel einer grundlegend verbesserten Barrierefreiheit somit durchaus die Chance für Korrekturen bei der Fahrzeugbeschaffung bestanden – gerade angesichts eines Investitionsvolumens von stolzen 1,5 Milliarden Euro!

 

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