Rückseite der BVG-Konzeption für den Ausbau des städtischen Nahverkehrs
Rückseite der BVG-Konzeption für den Ausbau des städtischen Nahverkehrs

Der Berliner Fahrgastverband IGEB versteht jetzt, warum die Berliner Koalitionsverhandlungen von CDU und SPD so zügig abgeschlossen werden konnten

Am 3.4.2023 legten die Berliner CDU und SPD ihren Koalitionsvertrag für 2023 bis 2026 vor. „Wir wollen ein mobiles und nachhaltiges Berlin. Unsere Mobilitätspolitik setzt auf ein Miteinander und nicht auf ein Gegeneinander. Der Öffentliche Personennahverkehr ist ein entscheidender Faktor für ein mobiles Berlin.“ So beginnt das Kapitel „Mobilität und Verkehr“. Als Einleitungstext sind solche wohlklingenden Formulierungen nicht unüblich, aber dieser Stil zieht sich leider bis an das Ende des Kapitels durch.

„Der Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs in Berlin und die Zusammenarbeit mit dem Bund und dem Land Brandenburg haben einen hohen Stellenwert.“

„Wir stehen für den Grundsatz einer angebots- und nicht verbotsorientierten Mobilitätspolitik.“

„Wir wollen das Mobilitätsgesetz im Sinne einer angebotsorientierten Mobilität weiterentwickeln. Hierbei geht es insbesondere um ein besseres Miteinander der Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer und die Beachtung örtlicher Gegebenheiten.“

„Wir werden die Sicherheit im ÖPNV stärken und die Aufenthaltsqualität an Bahnhöfen steigern.“

Wie alle diese Ziele erreicht werden sollen, ist dem Koalitionsvertrag nur selten oder gar nicht zu entnehmen.

Schlimmer noch: Es gibt auch Ziele, bei denen nicht nur die Antwort fehlt, wie sie denn erreicht werden sollen, sondern Ziele, die neue Fragen aufwerfen: „Die Koalition steht für den S-Bahn-Betrieb aus einer Hand.“ Was wollen CDU und SPD uns mit dieser Floskel sagen?

Gelegentlich folgen auf Gemeinplätze wie „Die Barrierefreiheit muss gelebte Realität werden.“ auch konkrete Aussagen: „Wir wollen an allen Bahnhöfen die Barrierefreiheit insbesondere durch Aufzüge herstellen.“ Das ist gut, aber dazu ist Berlin ohnehin verpflichtet, liegt allerdings hinter dem Zeitplan. Eigene oder gar neue Akzente hinsichtlich Barrierefreiheit setzen CDU und SPD nicht.

Fernbahnverkehr

Auch die Absichtserklärungen zum Fernverkehr sind nett zu lesen: „Wir wollen mit der Deutschen Bahn eine verbesserte Anbindung der ganzen Stadt an den Fernverkehr erreichen.“ Wie gut, dass die Verantwortung für das Gelingen hier vor allem beim Bund und der DB liegen.

Doch auch Berlin will sich konkret engagieren: „Dazu wollen wir zügig eine Elektrifizierung auch des Südrings und dafür einen zusätzlichen Fern- und Regionalbahnsteig am Südkreuz und in Neukölln realisieren.“ Ein fraglos sinnvolles Projekt, dessen Realisierung aber mit Sicherheit erst in den 30er/40er Jahren erfolgen kann.

Das gilt auch für fast alle anderen Projekte, bei denen der Koalitionsvertrag etwas konkreter wird, zum Beispiel die Ostbahn: „Wir setzen uns dafür ein, dass die Ostbahn zweigleisig ausgebaut und elektrifiziert wird.“ Richtig! Aber wie und wann soll das erreicht werden?

"i2030"

„Wir führen die i2030-Konzeption weiter“, wird eingeleitet, um dann anzufügen: „Wir werden die bereits begonnenen Planungen und Planfeststellungsverfahren im Rahmen von i2030 zur Wiederinbetriebnahme der Heidekrautbahn und Stammbahn forcieren.“ Das ist gut so, aber wo und wie soll forciert werden?

Immerhin in einem Satz wird es konkret: „Durch die Zusammenführung von Leistungsphasen bei der Planung wollen wir i2030 beschleunigen.“ Doch die Ankündigung „Wir prüfen die Aufnahme weiterer Strecken“ weckt schon wieder die Sorge, dass Berlin sich verzettelt. Denn das größte Problem bei i2030 ist neben dem zu geringen Tempo das Scheitern vieler Projekte an den Nutzen-Kosten-Untersuchungen aufgrund eines nicht mehr zeitgemäßen Bewertungsverfahrens. Hier sollten die Koalitionäre ansetzen und sich beim Bund für Veränderungen engagieren.

Immerhin wird es bei i2030 nochmals konkret: „Zudem wollen wir im Rahmen von i2030 die Realisierbarkeit und Vorplanung von Strecken und Bahnhöfen prüfen: die Verlängerung der Siemensbahn vom bisherigen Endpunkt Gartenfeld unterirdisch bis nach Hakenfelde sowie die weitere Verlängerung der S75 über Bucher Straße, Arkenberge bis nach Birkenwerder, S-Bahnhof Kamenzer Damm sowie die Regionalbahnhalte Buckower Chaussee und Buch.“ Zumindest die Prüfung der Verlängerung der S-Bahn über Gartenfeld hinaus ist mehr Gefahr als Chance, weil bei einer Umsetzung von Vorleistungen für eine Verlängerung die Wiederinbetriebnahme der Siemensbahn 2029 nicht mehr möglich ist.

U-Bahn

Dass ein U-Bahn-Ausbau das Lieblingsprojekt der neuen Koalition ist, kann man unschwer erkennen. Eingeleitet wird mit der Feststellung: „Wir werden die Sanierung und den Ausbau der U-Bahn fortsetzen und beginnen mit den Planungen von möglichen Linienneubauten und Linienverlängerungen.“ Danach folgt eine lange Liste von U-Bahn-Neubaustrecken, deren Vollendung in den meisten Fällen wohl kaum einer der Koalitionäre noch zu seinen Lebzeiten feiern kann.

Natürlich sind wir alle gehalten, schon heute die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen. Aber dann hätte die Koalition der Sanierung und Modernisierung des bestehenden U-Bahn-Netzes und Fahrzeugparks viel mehr Gewicht geben müssen. So muss dringend in die Werkstätten investiert werden, damit der Instandhaltungsaufwand bewältigt und der Instandhaltungsrückstand abgebaut werden können.

Straßenbahn

Wer befürchtet hatte, dass der Straßenbahnausbau auf der Streichliste der Koalitionäre landet, kann zunächst beruhigt lesen: „Wir werden den Bau von Straßenbahnstrecken vorantreiben.“

Danach wird deutlich gemacht, dass mehrere Straßenbahnprojekte weitergeführt und neue geprüft werden sollen. Zugleich werden aber so wichtige Projekte wie Alexanderplatz—Potsdamer Platz, Warschauer Straße—Hermannplatz (M10) und die Verlängerung nach Blankenburger Süden (M2) in Frage gestellt. Letzteres ist besonders unverständlich, da CDU und SPD offensichtlich tendenziell den Straßenbahnbau von den Innen- in die Außenbezirke verlagern wollen. Unausgesprochen steht dahinter, dass dort mehr Platz zur Verfügung steht, der nicht dem Autoverkehr „weggenommen“ werden muss.

Weil der Straßenbahnausbau und vor allem der S- und U-Bahn-Bau Projekte sind, bei denen CDU und SPD bis zur nächsten Wahl 2026 wenig Vorzeigbares erreichen können, interessieren besonders die Aussagen zum Bus: „Die Koalition setzt sich für die Umsetzung von Bussonderfahrstreifen ein. Wir wollen das Busspurennetz erweitern.“ Das hört sich gut an. Aber dann kommt eine vielfältig interpretierbare Floskel: „Damit das gelingt, setzen wir uns für eine gerechtere Verteilung der Verkehrsflächen ein.“ Was ist „gerecht“?

Dass die Bereitschaft, bei der vergleichsweise schnell umsetzbaren Beschleunigung von Bussen und Straßenbahnen Großes zu leisten, bei CDU und SPD begrenzt ist, kann man an den einschränkenden Formulierungen erkennen: „Wir wollen, wo es sinnvoll ist, weitere rechtssichere Busbeschleunigungsmaßnahmen sowie Vorrangschaltungen für Busse und Straßenbahnen einrichten, um die Fahrtzeiten zu reduzieren.“ Zwei Hürden werden aufgebaut: „sinnvoll“ und „rechtssicher“.

 VBB-Tarif

So bleiben als Sofortmaßnahmen mit markanten Effekten im Hinblick auf die nächste Wahl bereits in drei Jahren nur die Tarife. Hier fällt zunächst auf, dass es keine Aussage zum Deutschlandticket (49 Euro) gibt. Der Berliner Fahrgastverband IGEB hat schon mehrfach gefordert, dass auch in Berlin und Brandenburg ein ermäßigtes Deutschlandticket für 29 Euro eingeführt wird, z.B. für Schülerinnen und Schüler, Auszubildende und Studierende. Stattdessen halten CDU und SPD an ihrer Idee eines Berliner AB-Tickets für 29 Euro für alle fest. Natürlich ist der Berliner Fahrgastverband IGEB an günstigen Tarifen interessiert, aber die sehr hohen Ausgaben für ein 29-Euro-Ticket nach dem Gießkannenprinzip wären zielgruppenorientiert besser angelegt.

Besonders pikant: CDU und SPD bauen gleich selbst noch ein Hindernis gegen das 29-Euro-Ticket ein: „Wir prüfen in Abstimmung mit dem VBB, ob eine Ausweitung des Tarifbereichs B auf den ersten Bahnhof außerhalb des Stadtgebiets zur Verringerung von Pendlerverkehr auf der Straße beitragen kann.“ Das ist Populismus pur: Die Autos der Pendler sollen bitte außerhalb Berlins bleiben. Dass mit der Ausdehnung des B-Tarifs über die Landesgrenze hinaus viele neue Problemen geschaffen werden (Stichwort: Einnahmeaufteilung) und Berlin dann noch sehr viel stärker bei seinen Tarifmaßnahmen von Brandenburg abhängig wird, scheinen CDU und SPD nicht sehen zu können oder zu wollen.

Es ist zu begrüßen, dass CDU und SPD dem deutschlandweiten Trend folgend den öffentlichen Nahverkehr für die Fahrgäste preiswerter machen wollen, aber es besteht die Gefahr, dass die bei mehr Fahrgästen zwingend notwendige Verbesserung des Angebotes gar nicht oder zu spät kommt, weil der Koalitionsvertrag hier nur Allgemeinplätze und langfristige (Wunsch-)Vorstellungen enthält.

Fazit

Mit Ausnahme von Tarifmaßnahmen beschränken sich CDU und SPD überwiegend auf unverbindliche Floskeln und auf Planungen für mittel- und langfristige Projekte. Letzteres bindet viel Personal innerhalb und außerhalb der Verwaltung sowie sehr viel Geld, aber der notwendige Beitrag des Berliner Verkehrs zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz kommt damit viel zu langsam und viel zu spät.

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