Berliner Fahrgastverband IGEB und Deutscher Bahnkunden-Verband (DBV)

Trotz des Bekenntnisses der Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD, mehr Verkehre auf die Schiene zu verlagern, sieht die Praxis in der Regel leider anders aus. Der zügige Ausbau der entsprechenden Schienen- statt der Straßeninfrastruktur wäre für die Erhöhung der Kapazität nämlich von zentraler Bedeutung. Denn nur mit einem deutlich aufnahmefähigeren Bahnnetz kann der Verkehrsträger Schiene überhaupt einen nennenswerten Beitrag zur Verkehrswende bzw. zum Erreichen der Ziele entsprechend Klimaschutzprogramm 2030 leisten.

So führen u. a. auch viele grenzüberschreitende Strecken zwischen Deutschland und Polen völlig zu Unrecht weiterhin ein Schattendasein. Mit vertretbarem finanziellen Aufwand nutzbare Potenziale zur Verlagerung von Verkehren auf den umweltschonenden Schienenverkehr können daher zur Zeit nicht genutzt werden. Angesichts der Lkw-Kolonnen allein auf der Autobahn A 12 (Berlin – Frankfurt (Oder) – Grenze Deutschland/Polen) ist eine Verlagerung, beispielsweise mittels des Kombinierten Verkehrs Schiene-Straße, dringend erforderlich und auch realisierbar. Wenn die Verkehrspolitik das Ziel der Verlagerung tatsächlich ernst nehmen würde, müssten die Kapazitäten auf der Schiene gerade auch auf diesem wichtigen Ost-West-Korridor vordringlich ausgebaut werden. Die mittlerweile (abgesehen vom Bahnhof Berlin Köpenick) ausgebaute Bahnstrecke Berlin – Frankfurt (Oder) stößt zunehmend an Kapazitätsgrenzen. Derzeit verkehren neben dem Reisezugverkehr durchschnittlich 60 bis 70 Güterzüge pro Tag. Die sehr wünschenswerten Schienengüterverkehre im Rahmen der TESLA-Ansiedlung in Grünheide werden zusätzliche Kapazitäten binden. Ab 2022 wird die Regionalexpress-Linie RE 1 zwischen Brandenburg (Havel) und Frankfurt (Oder) in der Hauptverkehrszeit endlich auf drei anstatt derzeit zwei Fahrten pro Stunde und Richtung verdichtet. Auch das Angebot der EuroCity-Verbindung Berlin - Warschau soll in den nächsten Jahren auf sieben Zugpaare pro Tag erhöht werden. Trassenkonflikte sind somit nicht zu vermeiden. Ein attraktives Angebot im Schienengüterverkehr mit kurzen Transportzeiten lässt sich jedoch nicht dadurch erreichen, dass die Züge wiederholt in Überholgleisen stehen, um den Reisezugverkehr nicht zu behindern. Um ausreichende Kapazitäten im Schienenverkehr zu erreichen, rückt damit bereits seit längerem die Notwendigkeit des Ausbaus der „Ostbahnstrecke“ Berlin – Kostrzyn (Küstrin) – Bydgoszcz (Bromberg) als Bypass in den Fokus. Leider hat die deutsche Verkehrspolitik im Rahmen der Erstellung des Bundesverkehrswegeplans 2030 auch in vorliegendem Fall nicht weitsichtig gehandelt. Als Grund für die Nicht-Berücksichtigung des u. a. auch vom Deutschen Bahnkunden-Verband vorgeschlagenen Ausbaus der „Ostbahnstrecke“ wurde als Argument genannt: „Kein Nutzen für den Schienenpersonenfernverkehr und den Schienengüterverkehr angesichts vorteilhafterer Alternativstrecken in der Umgebung“. Wie kann eine Strecke, auf der sich (zumindest mittelfristig) Trassenkonflikte gerade im Hinblick auf angestrebte Verkehrsverlagerungen abzeichnen, seitens des Bundesverkehrsministeriums als „vorteilhaftere Alternativstrecke“ eingestuft werden? Desinteresse beschreibt den Sachverhalt wohl treffender.
Dagegen wurde auch seitens des Geschäftsbereichs DB Netz AG in jüngster Vergangenheit bereits betont, dass großes Interesse an einem zweigleisigen Ausbau und der Elektrifizierung des Abschnitts Berlin – Grenze Deutschland/Polen – Kostrzyn besteht.

Polen handelt: Voruntersuchung zum Ausbau der „Ostbahn“

Im Gegensatz zur deutschen hat man auf polnischer Seite die Zeichen der Zeit erkannt. Derzeit erfolgt erfreulicherweise bereits eine Voruntersuchung für eine grundlegende Erhöhung der Leistungsfähigkeit der „Ostbahn“ im Abschnitt Bydgoszcz (Bromberg) – Pila (Schneidemühl) – Krzyz (Kreuz) – Gorzow (Landsberg an der Warthe) – Kostrzyn (Küstrin), bei der auch dem Schienengüterverkehr der notwendig hohe Stellenwert beigemessen wird. Für den Personenverkehr soll der Abschnitt Bydgoszcz – Pila dabei für eine Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h ausgebaut werden und der anschließende Abschnitt bis Kostrzyn für 160 km/h. Güterzüge sollen mit einer Maximalgeschwindigkeit von 120 km/h verkehren können. Überholgleise in den Bahnhöfen werden mit einer Mindestlänge von 750 Metern, und damit mit der heutigen europäischen Standard-Zuglänge, geplant. Die Gesamtstrecke soll elektrifiziert werden (bzw. die Oberleitungsanlagen im Abschnitt Bydgoszcz – Pila modernisiert/erneuert werden). Diese Voruntersuchung soll Mitte September 2020 abgeschlossen werden. Klar ist aber auch: Die Kosten-Nutzen-Rechnungen für Investitionen auf polnischer Seite verschlechtern sich für diese international wichtige Strecke deutlich, wenn entsprechende Maßnahmen einschließlich der Elektrifizierung auf dem deutschen Abschnitt der Strecke unterbleiben! Es besteht somit auch das Risiko, dass es in Polen für dieses Projekt schlimmstenfalls keine finanzielle Unterstützung seitens der Europäischen Union gibt.

Und: Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD vom 12. März 2018 ist u. a. als Zielwert festgelegt, dass bis zum Jahr 2025 insgesamt 70 Prozent des Bundesschienenwegenetzes elektrifiziert sein sollen. Auch die „Ostbahnstrecke“ trägt dazu bei, dieses wichtige Ziel zu erreichen.

Neue Oderbrücken zwischen Küstrin-Kietz und Kostrzyn

Unabhängig von weiteren Planungen zum Ausbau der „Ostbahnstrecke“ erfolgt ab Dezember 2020 der dringend erforderliche Ersatzneubau der Oderbrücken (Eisenbahnüberführungen über die Odervorflut und die Oder) zwischen den Bahnhöfen Küstrin-Kietz und Kostrzyn. Für den Zeitraum von zwei Jahren wird dieser Abschnitt daher komplett gesperrt. Es wird ein Schienenersatzverkehr (SEV) eingerichtet. Zu den zwischenzeitlich angelaufenen vorbereitenden Arbeiten gehört neben der Kampfmittelräumung im Baubereich auch der Neubau eines Pendlerparkplatzes am Bahnhof Küstrin-Kietz.

Der Siegerentwurf der Planungsgemeinschaft Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft / Knight Architects sieht für die Oderquerung eine über vier Felder durchlaufende zweigleisige Trogbrücke mit Stützweiten von 130m – 47m – 46m – 43m vor. Das Feld für die Strombrücke wird im Gegensatz zum derzeitigen Zustand stützenfrei als Netzwerkbogenbrücke ausgeführt. Immerhin: Die Möglichkeit einer nachträglichen Elektrifizierung ist in der Planung bereits berücksichtigt.

Zeitnahe Problemlösungen sind gefragt

Im Rahmen einer von der IHK Ostbrandenburg in Auftrag gegebenen Studie wurden für unterschiedliche Ausbau-Szenarien des Streckenabschnitts Berlin – Kostrzyn bereits auch Kostenschätzungen durchgeführt. Diese belaufen sich für den vollständigen zweigleisigen Ausbau incl. der Elektrifizierung auf rund 320 Mio. EURO, d. h. ein im Vergleich zu fragwürdigen und mit hohen finanziellen Risiken verbundenen Neubaumaßnahmen, wie beispielsweise dem Projekt STUTTGART 21, ein durchaus überschaubarer Wert. Angesichts der unverständlichen Entscheidung des Bundesverkehrsministeriums, diese Strecke nicht im Bundesverkehrswegeplan 2030 bzw. im Anhang des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSWAG) zu berücksichtigen, müssen in Zusammenarbeit mit Polen nunmehr andere Finanzierungsmöglichkeiten gefunden werden. Große Chancen hat dabei sicherlich die Nutzung des EU-Förderprogramms „Connecting Europe Facilities“ (CEF) in der nächsten Förderperiode von 2021 bis 2027. Voraussetzung ist dafür allerdings die Aufnahme dieser Strecke als Ergänzungsstrecke zum Transeuropäischen Vorrangkorridor „North Sea Baltic“ (auch als „Rail Baltica“ bezeichnet). Dies muss daher aus oben genannten Gründen zeitnah gelingen. Hier besteht insofern dringender Handlungsbedarf, da die Revision der Transeuropäischen Netze bereits im laufenden Jahr ansteht. Eine weitere Finanzierungsmöglichkeit: Mit dem 3. Gesetz zur Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) vom 06. März 2020 sind nunmehr erfreulicherweise u. a. auch Investitionen zur Kapazitätserhöhung von Schienenstrecken und Elektrifizierungen förderungsfähig.

Auch das vom Bundesverkehrsministerium bislang leider nur angekündigte neue Ausbauprogramm „Elektrische Güterbahn“ bietet Chancen einer Finanzierung. Hierbei geht es darum, durch gezielte Lückenschlüsse Ausweichstrecken für stark befahrene Korridore für Güterzüge zu elektrifizieren. Dies trifft auf die „Ostbahnstrecke“ als Ausweichroute für die Strecke Berlin – Frankfurt (Oder) – Grenze Deutschland/Polen uneingeschränkt zu!

Nachdem in der Vergangenheit bereits einige wichtige Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastrukturqualität der „Ostbahnstrecke“ – hierzu gehört u. a. der im Jahr 2017 abgeschlossene zweigleisige Ausbau zwischen Strausberg und Rehfelde mit einem zweiten Bahnsteig in Herrensee und die Trennung von S-Bahn und Regionalbahn im Bahnhof Strausberg – muss der Ausbau nun kontinuierlich weitergehen. Eine erste Ausbaustufe muss hierbei sicherlich die Wiederherstellung der Zweigleisigkeit zwischen Berlin-Lichtenberg und Müncheberg umfassen, so dass ab Dezember 2022 in diesem Abschnitt ein stabiler Halbstundentakt im Personenverkehr realisiert werden kann.

Für die weiteren Ausbaumaßnahmen ist grundsätzlich eine enge Abstimmung mit Polen erforderlich. Eine politische Blamage wie im Fall der Elektrifizierung der Strecke Dresden – Görlitz – Grenze Deutschland/Polen bzw. Cottbus – Görlitz – Grenze Deutschland/Polen darf sich in einem zusammenwachsenden Europa keinesfalls mehr wiederholen. Nachdem auf polnischer Seite im Jahr 2019 nämlich die Elektrifizierung auch des letzten 27 Kilometer langen Abschnitts Wegliniec (Kohlfurt) – Zgorzelec (Görlitz-Moys) der Strecke Wroclaw (Breslau) – Görlitz abgeschlossen wurde, endet die Oberleitung seitdem nun wohl noch über viele Jahre auf dem Neißeviadukt Görlitz. Unverständlich: Eine verbindlicher Terminplan zur Fortsetzung der Elektrifizierung auf deutscher Seite existiert bis heute nicht!

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