Zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

Erläuterungen zum Urt. BGH V ZR 83/18

Die Entscheidung – auch wenn sie im konkreten Fall nur eine Etappe bildet – bringt Rechtssicherheit für alle Betreiber von Eisenbahninfrastruktur, sofern sie nicht zugleich auch Eigentümer der zugehörigen Grundstücke sind oder Ihnen bisher lediglich die Unternehmensgenehmigung nach § 6 Abs. 2 AEG vorliegt, aber mit dem Eigentümer noch keine „zivilrechtliche Nutzungsvereinbarung“ getroffen haben oder treffen konnten oder kein Eigentum erwerben konnten oder wollten. Die Entscheidung zeigt aber auch auf, dass es für den Eigentümer nicht freigestellter Bahngrundstücke durchaus auch Mittel und Wege gibt, eines sich passiv verhaltenden Inhabers einer Unternehmensgenehmigung zu entledigen und dann die Freistellung beantragen zu können.

In aller Kürze die Ausgangssituation für den Rechtsstreit, auch wenn sie hinlänglich bekannt sein mag:

2003 gestattet das EBA der DB-Netz-AG die „Stillegung“ (§ 11 Abs. 1 S. 2 AEG) des letzten damals noch in Betrieb befindlichen Rests der HHE (Strecke 6800) zwischen Halle-Dölau und Halle-Nietleben, für das Teilstück Hettstedt - Gerbstedt bereits 2002.

Niemand führt in der Folgezeit ein Entwidmungsverfahren für die Strecke insgesamt (also des üblicherweise aus einer Vielzahl von Grundstücken bestehenden „Streckenbandes“) durch mit Ausnahme eines verhältnismäßig kleinen Teilstücks, das um 2006 an einen Dritten verkauft und dann auch wohl auf dessen Antrag hin gem. § 23 AEG freigestellt worden war. Diese Grundstücke des ehem. Bf Schochwitz sind nicht Teil des Rechtsstreits.

Ende 09/2008 erteilt das Land Sachsen-Anhalt der Deutschen Regionaleisenbahn GmbH die Konzession/Betriebsgenehmigung (aktuelle Terminologie: Unternehmensgenehmigung) zum Betrieb der Strecke Halle-Nietleben - Hettstedt nach § 6 AEG für 50 Jahre unter …

Bereits Anfang 09/2008 bietet die DB-Netz-AG die ihr verbliebenen Grundstücke der Strecke öffentlich für Jedermann zum Verkauf an, ohne diese nach § 23 AEG vor dem Verkauf entwidmet zu haben. Aus einem Schreiben DB - Imm. v. 05.09.08 an den Inhaber der Unternehmensgenehmigung (DRE) lässt sich herauslesen, dass man an einer Verpachtung kein Interesse habe, sondern freihändig verkaufen möchte. Die DRE teilt wenige Tage nach Erteilung der Konzession seitens des Landes gegenüber DB-Imm mit, dass man zum damaligen Zeitpunkt am Kauf kein Interesse habe, sondern pachten wolle.

Die Ablehnung der DB-Netz-AG, an die DRE zu verpachten war gemessen an dem aktuellen Urt. V ZR 83/18 rechtswidrig.

Im Januar 2010 erfolgt die Beurkundung eines Kaufvertrags zwischen der DB-AG und einer Kapitalgesellschaft, die später auf den Prozessgegner (Beklagte) – eine sich besonders in einem DB-Netz-Bereich durch Schrottverwertung von Bahnlagen hervortuende Kapitalgesellschaft – verschmolzen wird, Kaufpreis 100 TEUR.

Die Prozessgeschichte bisher und das Urteil des BGH: 

Nachdem 2014 zum zweiten Male seitens der Beklagten diesmal bei Welfesholz begonnen wurde die - auch unter Denkmalschutz stehende - Strecke abzureißen um Stück für Stück den Schrottwert der Gleisanlagen von damals um die 400 TEUR zu realisieren, wurde - nach zunächst in 2 Instanzen von Verfasser für die DRE geführtem erfolgreichem einstweiligen Verfügungsverfahren - wegen entspr. Antrags der Beklagten - Anfang November 2014 Hauptsacheklage seitens der DRE eingereicht und zwar gerichtet auf endgültige Unterlassung weiterer Abrissmaßnahmen. Die Beklagte erhob in demselben Verfahren gegen die DRE Widerklage auf Unterlassung weiterer Bautätigkeit zur Instandsetzung und Betrieb der Strecke.

Das OLG Dresden hat in einer überraschenden Kehrtwende in einem Teilurteil gegenüber dem einstweiligen Verfügungsverfahren den Unterlassungsanspruch der DRE auf einmal abgewiesen. Außerdem wurde der Beklagten der Anspruch auf Unterlassung weiterer Betriebsaufnahmetätigkeit §§ 6, 7f AEG seitens der DRE und deren Unterstützer zugesprochen. Den Mumm, die Revision zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe (BGH) gegen das Teilurteil zuzulassen hatte der 10 Senat des OLG Dresden nicht.

Somit blieb der DRE nur die Möglichkeit im Wege der sogen. Nichtzulassungs-beschwerde zum BGH, die Revision sozusagen nachträglich zulassen zu lassen, was dann der BGH wegen "grundsätzlicher Bedeutung" der Sache im Februar 2019 auch getan hat.

Im Juni ´20 erging dann nach zwei Verhandlungsterminen das mittlerweile auch veröffentliche und wegen seiner Bedeutung für die Aufnahme in die amtliche Sammlung der besonders wichtigen BGH-Zivilurteile vorgesehene Urteil.

Dieses besagt im Kern, dass die bestehende Widmung von Grundstücken (§§18, 23 AEG) für Eisenbahnbetriebszwecke i.V.m. der Erteilung der Erlaubnis nach § 6 AEG zum Betrieb der auf den Grundstücken befindlichen Infrastrukturanlagen bereits eine geschützte Rechtsposition zugunsten des Inhabers der Unternehmensgenehmigung bilden, so dass der Abwehranspruch gerichtet gegen Abrissmaßnahmen der Beklagten besteht. Der Eigentümer gewidmeter Bahngrundstücke darf also nicht schalten und walten wie er möchte, wenn die Unternehmensgenehmigung nach § 6 Abs. 2 S. 2 AEG erteilt ist.

Nur eingeschränkt bestehe allerdings ein Betretungsrecht zugunsten des Inhabers der Erlaubnis nach § 6 AEG, solange er nicht Pächter oder Eigentümer der Grundstücke geworden sei, ihm also noch kein schuldrechtliches oder dingliches Besitzrecht zusteht. Der BGH sagt aber, dass der Gesetzgeber für den Fall, dass bei einer bereits stillgelegten (aber nicht entwidmeten!) Strecke, für den Fall also nicht im Wege der zeitlich nahtlosen Übergabe der Infrastruktur von einem Betreiber zum nächsten, sondern der erst mit einer zeitlichen Lücke neu erteilten Unternehmensgenehmigung, nichts geregelt habe für das Verhältnis zwischen dem jeweiligen Eigentümer der noch gewidmeten Grundstücke und dem neuen Streckenbetreiber, also derzeit eine gesetzliche Regelungslücke bestehe, die wegen der Wichtigkeit der Widmung durch analoge Anwendung der Abgaberegelungen im regulären Stillegungsverfahren geschlossen werden müsse (Urt. BGH Rn 27+28). 

Es soll außerdem keine auf Dauer bestehende Patt-Situation eintreten. Jede der beiden beteiligten Seiten kann agieren und eine 3-Monatsfrist auslösen (Urt. Rn 31) , binnen  deren  entweder der Betreiber vom Eigentümer nach Wahl des Betreibers ein Angebot zum Kauf oder Pacht "nach den üblichen" (meint gesetzlich vorgesehenen) Bedingungen – m.E. also vor allem gemessen am eisenbahnspezifischer Ertragswert der Strecke - abfordern kann ist oder der Eigentümer mitteilen kann, dass er die Stillegung (!) beabsichtige und damit den Betreiber wiederum zur Aufforderung auf Erhalt eine Angebots zum Kauf oder Pacht zwingen kann, dies binnen dreier Monate.

Unterläßt der Betreiber dann die Aufforderung, ein Angebot zum Kauf oder zur Pacht abzufordern, dürfte er Gefahr laufen, die Betriebsgenehmigung zu verlieren mit der Folge, dass dann die Entwidmung der Grundstücke möglich würde. M.E. wäre das ein Fall von § 6 g Abs. 8 AEG i.V.m § 49 VwVfG, denn der Unternehmer könnte dann seiner Betriebspflicht nicht mehr nachkommen.

Noch nicht entschieden ist die Frage, was passiert, wenn der Eigentümer "mauert", er also dem Betreiber trotz dessen Aufforderung kein Angebot nach Ertragswert zum Kauf oder Pacht vorlegt.  Danach sieht es nach Zurückverweisung des Verfahrens an das OLG derzeit aus.

Die Situation kann dann meines Erachtens nur wie folgt gelöst werden:

Eine erneute Stillegung scheidet vorliegend definitiv aus, denn die Voraussetzungen des § 11 Abs 1 S. 2 AEG liegen nicht vor. Derjenige, der „stillegen lassen will“ hat gegenüber der Aufsichtsbehörde nämlich nicht nur die Unwirtschaftlichkeit des Weiterbetriebs der Infrastruktur nachzuweisen, sondern auch, dass Übernahmeverhandlungen ernsthaft geführt sind und trotzdem erfolglos geblieben sind. Letzteres kann der "mauernde" Eigentümer nicht nachweisen.

Die ständige Rechtsprechung des BGH (vor allem des V. Senats) kennt aber die Klagemöglichkeit, gerichtet auf die Abgabe eines Vertragsangebots zu bestimmten oder zumindest bestimmbaren Bedingungen, wenn ein Vorvertrag besteht, siehe z.B. BGH V ZR 468/99. Ein Vorvertrag liegt hier natürlich nicht vor, der BGH gibt dem Inhaber einer Unternehmensgenehmigung in der neuen Entscheidung gegenüber dem Eigentümer aber den Anspruch, jederzeit von diesem die Unterbreitung eines den Anforderungen des § 11 Abs. 1 S. 3 AEG entsprechenden Angebots wahlweise zum Kauf oder Pacht verlangen zu können (Urt. V ZR 83/18 Rn 31). Dieses Recht muss auch im Klageweg durchsetzbar sein, sonst kommt es auf dieser Ebene zu der zu vermeidenden „Pattsituation“, es könnte die Widmung der Grundstücke zu Bahnbetriebszwecken willkürlich auf Dauer blockiert werden. Die Situation ist also der des Vorvertrags mit einer Bindung der Beteiligten recht ähnlich.

Andernfalls bliebe es bei einer nicht gewollten Pattsituation, m.E. ist die Klage auf Abgabe eines wie in Rn 31 und 30 skizzierten Angebots im Rahmen des sogen. Interessenbekundungsverfahrens anderen denkbaren Lösungen vorzugswürdig, etwa der Anwendung der Enteignungsgesetze der Länder. Andernfalls ist wohl nicht davon auszugehen, dass der BGH dieses Konstrukt des Interessenbekundungsverfahrens zum Schließen der festgestellten gesetzlichen Regelungslücke in dieser Form ins Leben gerufen hätte.

 

Christian Kehr
Rechtsanwalt, Markkleeberg

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