Karte "Bestandsaufnahme Mobilität und Verkehr" aus dem ISEK-Endbericht
Karte "Bestandsaufnahme Mobilität und Verkehr" aus dem ISEK-Endbericht

Zusammenfassung

Die vom Büro Obermeyer im Auftrag der Stadtverwaltung Lörrach vorgelegte Machbarkeitsstudie zur Weiterführung der Linie 6 nach Lörrach zeigt in erster Linie Folgendes: Die Verlängerung ist grundsätzlich machbar. Allerdings kann die Studie nicht als Basis zu einer Grundsatzentscheidung dienen, ob eine Tramverlängerung weiterverfolgt werden sollte oder nicht. Dies liegt jedoch nicht an Mängeln der Studie, sondern vielmehr an den Mängeln, die durch die Studie aufgedeckt und deutlich benannt werden, insbesondere am Fehlen grundlegender Basisdaten, die im Vorfeld einer solchen Studie zur Verfügung hätten bereitgestellt werden müssen.

Die wichtigsten beiden Beispiele für mangelhafte Faktenlage sind:

Fehlendes übergreifendes Verkehrsmodell. Dieser Mangel tangiert jegliche Art von Entwicklungsprojekten im ÖPNV, sobald Zuschüsse von dritter Seite zur Finanzierung erforderlich sind, die eine Standardisierte Bewertung zu durchlaufen haben, um hinreichenden Bedarf und Nutzen nachzuweisen.

Ein übergreifendes Gesamt-Verkehrskonzept fehlt (oder ist in der Öffentlichkeit derzeit nicht bekannt) im Landkreis Lörrach in Verbindung mit den angrenzenden Nachbarlandkreisen (soweit diese von ÖPNV-Linien des Landkreises Lörrach mitbedient werden sollen) und dem Großraum Basel. Genaueres zu diesen Mängeln im Rahmen der ausführlichen Bewertung.

Die vorgegebenen Prämissen sind nicht an allen Stellen transparent nachvollziehbar und werfen im Vergleich zu anderen Städten, die kürzlich Ergänzungen in ihren Tramnetzen vorgenommen haben, Fragen auf. Die unterstellten Prämissen bedürfen offensichtlich noch eines individuelleren Zuschnitts auf die Stadt. Insofern liefert die Studie keine Entscheidungsgrundlage, sie vergibt vielmehr Hausaufgaben, die nun im Nachgang sukzessive zu erledigen sind.

Beispielsweise führt eine Prämisse zur erforderlichen Mindestbreite von Durchfahrten zu einer Trassenwahl, die in offensichtliche Konkurrenz zur bestehenden Wiesental-S-Bahn tritt. Dies führt nicht zu einer Stärkung der Fahrgastzahlen und zu einer Hebung des Gesamtnutzens, wie sie für eine spätere Förderfähigkeit erforderlich wäre. Auf Nachfrage des DBV stellte sich heraus, dass spezielle Realisierungsmöglichkeiten für Trassen in engen Innenstadtbereichen, wie sie in Tramnetzen anderer Städte zuweilen anzutreffen sind, keine Berücksichtigung fanden. Es ist also nicht auszuschließen, dass durch intolerante Prämissenwahl die Variantenabwägung der Machbarkeitsstudie in eine nicht sachdienliche Richtung gelaufen sind.

Die Behebung struktureller Mängel in den Grundlagen, Modellen und Prämissen war ausdrücklich nicht Aufgabenstellung an das Büro Obermeyer. Hierin liegen die resultierenden Hausaufgaben.
Nach Auffassung des DBV sollten diese möglichst umgehend angegangen werden, um für die Zukunft dringend notwendige Verkehrsmaßnahmen im ÖPNV keinesfalls zu gefährden. Hierunter
fällt auch die aus Sicht des DBV nutzbringende Taktverdichtung der Wiesental-S-Bahn oder die nachhaltige Anbindung des im Bau befindlichen Zentralklinikums, deren Umsetzung eine ganze Reihe von baulichen Ertüchtigungen entlang der Strecke erforderlich machen. Auch hier sind Bedarf und Nutzen im Rahmen einer Standardisierten Bewertung nachzuweisen, auch hier wird ein prognosefähiges Verkehrsmodell erforderlich sein.

Kernaussage 1

Ein prognosefähiges Verkehrsmodell liegt nicht vor Nach Auffassung des DBV fehlt damit eine Schlüsselgrundlage jeglicher valider verkehrlicher Gestaltung.
Ohne ein solches Verkehrsmodell sind valide Prognosen über Auswirkungen jeglicher Verkehrsprojekte innerhalb des Kreises nicht möglich. Betroffen davon sind allerdings neben dem in der Machbarkeitsstudie untersuchten Tram-Projekt auch sämtliche andere Verkehrsprojekte wie Taktverbesserungen auf der Wiesental-S-Bahn, Auswirkungen durch Bau oder Veränderung von Straßen oder die Einrichtung neuer Buslinien. Das Fehlen eines prognosefähigen Verkehrsmodells hat also Negativauswirkungen auf der gesamten Linie der lokalen Verkehrspolitik, macht vielmehr eine gezielte Gestaltung zum Zufallsunterfangen.

Diesem durch Gutachter Obermeyer aufgedeckten gravierenden Mangel muss nach Auffassung des DBV umgehend abgeholfen werden, um eine zukunftsfähige Gestaltung des Verkehrs im Kreis Lörrach zu ermöglichen. Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, dass Lörrach sich im Kontext des Großraumes Basel Stadt und Basel Land befindet und dass ein nicht unerheblicher Anteil des Verkehrs zu diesen Nachbarräumen in Verbindung steht. Eine Kompatibilität des aufzubauenden Modells zu vorhandenen Modellen in Basel ist daher unerlässlich. Auch hierzu hat das Büro Obermeyer Hinweise gegeben.

Kernaussage 2

Auswirkungen und die Bewertung eines einzelnen Verkehrsprojektes hängen vom gesamten Kontext ab. Dies ist sofort einleuchtend. Am Beispiel der Wiesental-S-Bahn läßt sich leicht erkennen, worauf diese Kernaussage abzielt:

Nach Betrachtungen des DBV wird die bereits breit diskutierte und erwünschte Taktverdichtung der Wiesental-S-Bahn alleine aus fahrplantechnischen Gründen an mehreren Stellen den Wiederaufbau der zweigleisigen Streckenführung erfordern, je nachdem, wie weit die Taktverdichtung ins Tal hinauf angeboten werden soll. Aufgabenträger hierfür ist allerdings der Bund, der dieses Projekt in den Bedarfsplan aufnehmen und die entsprechenden Mittel bereitstellen muss. Zur Aufnahme in den Bedarfsplan ist eine Standardisierte Bewertung zu durchlaufen, welche einen Nachweis zu erbringen hat, dass der volkswirtschaftliche Nutzen über den aufzubringenden Investitionen liegt. Der Nutzen generiert sich jedoch in wesentlichem Umfang aus der Zunahme von Fahrgastzahlen und den angebotenen Reisezeiten. Weitere Faktoren wie die Entlastung der Umwelt vom motorisierten Individualverkehr und die Senkung der Gesamtemissionen hängen unmittelbar davon ab.

Allerdings ist hier ein prognosefähiges Verkehrsmodell alleine nicht hinreichend, denn der generierte Nutzen kann zum Beispiel dadurch gesteigert werden, wie der Zubringerverkehr im Umland der Wiesental-S-Bahn auf das Angebot der Schiene ausgerichtet werden kann und soll. Dies wird ganz wesentlich durch das verkehrliche Gesamtkonzept bestimmt. Für überregionale Straßenbauprojekte geht dies sogar noch erheblich weiter, weil beispielsweise der Ausbau überregionaler Straßen den Druck des Durchgangsverkehrs auf die Stadt Lörrach erhöhen kann, was aus Sicht der Stadt Lörrach sichtlich nicht wünschenswert ist. Vielmehr bedürfte es Alternativangeboten, die diesen Druck senken.

Weiterhin ermöglicht das verkehrliche Gesamtkonzept erst, das prognosefähige Verkehrsmodell mit validen Ausgangszahlen zu füttern, um beispielsweise durch dessen Rechenergebnisse das Konzept weiter zu optimieren und damit auch den optimalen Nutzen für zukünftige Verkehrsprojekte zu erzielen.

Fazit: Der DBV hält es für absolut unerlässlich, die von Gutachter Obermeyer bemängelten Grundlagen möglichst schnell zu schaffen, um die Verkehrsentwicklung in Stadt und Landkreis auf eine zukunftsfähige Basis zu stellen.

Bewertung weiterer Aussagen der Studie, Variantenabwägung

Die Studie von Obermeyer zeigt hier einige Schwachpunkte der Aufgabenstellung konsequent auf: Bei der Aufgabenstellung wurden nämlich Vorgaben über das zu berücksichtigende Mindestprofil des Straßenraumes derart gemacht, dass eingleisige Linienführungen generell von vornherein ausgeschlossen wurden. Allerdings wurde hier nicht unterschieden zwischen Eingleisigkeit mit Gegenrichtungsbetrieb und Eingleisigkeit ohne Gegenrichtungsbetrieb.

Es wurde lediglich von Eingleisigkeit mit Gegenrichtungsbetrieb ausgegangen. Dies wurde mit dem technischen Argument verworfen, die Basler Straßenbahn verfüge nicht über technische Einrichtungen zu sicheren Abwicklung eingleisiger Verkehrsführung. Dieses Argument erstaunt und überrascht in der heutigen Zeit.

Der DBV beanstandet jedoch, dass auch eingleisige Führung ohne Gegenrichtungsbetrieb als Folge in der Studie ebenfalls nicht betrachtet worden sind. Gemeint ist damit, dass die Tramtrasse im Bereich enger Straßen richtungsgemäss geteilt wird, so dass die Tram in eine Richtung durch eine Straße und in Gegenrichtung durch eine benachbarte Straße fährt. Eine solche Betriebsführung findet in zahlreichen deutschen Städten mit Trambetrieben Anwendung, wenn der verfügbare Straßenraum an einzelnen Stellen nicht den Anforderungen der Obermeyer-Studie entspricht (Beispiele: Erfurt, Augsburg, Heidelberg-Mannheim, Köln, Berlin, Darmstadt, Basel, Stuttgart vor Umstellung auf Stadtbahnen, Würzburg, Leipzig, Gera und weitere). In der Folge wird der prognostizierte Baupreis erheblich zu hoch angesetzt im Vergleich zu anderen vergleichbaren Projekten (z.B. Weil am Rhein mit ca. 18 Mio. pro km Strecke, dagegen Lörrach mit über 30 Mio. pro km Strecke). Ob dies die Folge der gutachterlichen Bearbeitung oder die Folge zu unspezifischer Vorgaben ist, kann dahingestellt bleiben.

In der Folge scheiden dann jedoch auch Trassenvarianten aus, die entweder zur Optimierung der Kosten oder zur Neuerschließung von Fahrgastpotentialen besser geeignet wären als die Vorzugstrassen, die anschließend vom Gutachter vertieft untersucht wurden. Im weiteren Verlauf führt dies zu vergleichsweise hohen Kosten beim Bau bei einem gleichzeitig minderwertigen Erschließungspotential für neue Fahrgäste wegen der eingetretenen Konkurrenzsituationen mit der S-Bahn, was dem außenstehenden Beobachter bereits vom einfachen Hinsehen plausibel ist.
Die Studie legt im Ergebnis hierzu zwei fundamentale Schlußfolgerungen nahe:

  1. Die Anforderungen an den benötigten Straßenraum bedürfen der dringenden Optimierung, bevor ein Antrag auf Förderung gestellt werden kann. Es ist nach Wegen zu suchen, die Kilometerkosten zu senken.
  2. Eine Konkurrenzsituation der Tram mit der S-Bahn ist dringlichst zu vermeiden, es sind bessere Erschließungskontexte erforderlich.

Hinweis an die IG Verkehr: Die Vorschlagtrasse der IG Verkehr zeigt im Erschließungspotential zwar einige Vorteile, deren ausgedehnte Eingleisigkeit vergünstigt die Erstellungskosten zunächst, macht aber eine spätere Ausdehnung des Angebotes auf das vom Gutachter unterstellte Niveau unmöglich. Der Vorschlag sollte grundlegend überdacht werden.

Herstellungs- und Betriebskosten

Zu den Herstellungskosten ist im Punkt Variantenabwägung bereits Stellung bezogen. Diese erscheinen ohne Angabe von Gründen im Vergleich zu anderen aktuellen Projekten vergleichsweise hoch, wofür die Studie keine weiteren Hinweise enthält. Andere Städte realisieren neue Tram-Projekte zu erheblich geringeren spezifischen Kosten. Bei der Abschätzung der Betriebskosten kommt der Gutachter ebenfalls auf einen vergleichsweise hohen Wert, sowohl beim Invest für zusätzliches Wagenmaterial als auch beim laufenden Betrieb.

Dies liegt daran, dass der Gutachter bereits von vornherein mit einer durchgehenden Zugfolge von 7-8 Minuten auf der gesamten Linie ausgeht. Der DBV erkennt hierin eine gewisse UÖberzeugung des Gutachters von der langfristigen Tragfähigkeit dieser zunächst hoch anmutenden Bedarfsprognose. Zwar räumt der Gutachter ein, dass der Bedarf sich hierzu anfangs erst zu entwickeln habe und dass Betriebskonzepte wie z.B. ein Viertelstundentakt deutlich günstiger sind, sowohl was die Anschaffung von Fahrzeugen als auch die jährlichen Betriebskosten betrifft. In der Zusammenfassung stehen aber dann die höheren Zahlen, die zunächst abschreckend auf Leser wirken, die die Studie nicht in voller Länge eingehend studiert haben.

Dabei liegt es auf der Hand: Jedes Neuangebot bedarf zunächst einer kontinuierlichen Nachfrageentwicklung. Beispielsweise ist nach Einführung der Straßenbahn in Kehl bereits mit einem Angebot im 14-Minutentakt die Nachfrage binnen kürzester Zeit regelrecht explodiert, obwohl deren Bau wegen der extrem teuren Rheinquerung politisch lange Zeit nur mühsam darstellbar war.
Für die Herstellung der Trasse und die Anschaffung der Fahrzeuge bestehen darüber hinaus zahlreiche Fördermöglichkeiten. Förderung durch Bund und Land haben beispielsweise dazu geführt, dass beim Neubau der zweiten Tramlinie in Ulm (Inbetriebnahme Ende 2018) die Stadt Ulm nur 20% der Kosten zu tragen hatte. Im Lörrach kommt aber wegen der Nähe zu Basel noch ein Zuschußpotential aus der Schweiz hinzu, und damit dürften die Rahmenbedingungen sogar noch günstiger sein.

Entwicklungschancen für die Stadt

Aus Sicht des DBV zeigen sich im Zug einer Tramverlängerung Chancen für die Stadtentwicklung in Lörrach. Neben der Optimierung des ÖPNV-Angebotes in Richtung der Qualität jenseits der Schweizer Grenze bieten sich Möglichkeiten zur besseren Gestaltung des öffentlichen Raumes durch intelligentes Bündeln und durch Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs. Hierbei sind verschiedene Modelle denkbar, die für die Zukunft zu diskutieren sind. Beispielsweise Reduzieren des Parkraums in den Straßen und Konzentration des weggefallenen Parkraums an anderer Stelle in Verbindung mit attraktiven P+R-Angeboten, Quartierparken für Anwohner, Anliegerregelungen, Sondererlaubnisse für Gewerbetreibende usw.

Von der Verdrängung des motorisierten Individualverkehrs würden auch Verkehrsteilnehmer profitieren, die den öffentlichen Raum nicht mit dem Auto nutzen wollen, in erster Linie Fußgänger und Radfahrer. Besonders der Anteil des Radverkehrs am innerstädtischen Modal-Split wurde bei der vergangenen Studie als sehr hoch ermittelt und wäre in Verbindung mit der Entlastung des öffentlichen Raumes vom motorisierten Individualverkehr voraussichtlich auch weiter steigerbar.

Eine Aufwertung der Innenstadt könnte im übrigen resultieren. Beispiel Erfurt: Dort sind die Hauptachsen der Innenstadt komplett freigehalten von motorisiertem Individualverkehr, es ist alles komplett Fußgängerzone, es fährt nahezu nur die Straßenbahn, stellenweise Busse und Taxis. Dies macht die Innenstadt sehr belebt durch Fußgänger und Radfahrer. Lieferverkehr für die Gewerbebetriebe wird selbstverständlich ermöglicht.

Fazit

Die Studie zeigt eindeutig die Machbarkeit einer Verlängerung der Linie 6 von Riehen nach Lörrach. Gleichzeitig deckt sie zahlreiche Lücken in der aktuellen Faktenlage auf, die eine Entscheidung über das Für und Wider unter den derzeit bekannten Voraussetzungen nicht möglich erscheinen lassen.

Nach Auffassung und Einschätzung des DBV Baden-Württemberg erscheint die Notwendigkeit einer weiteren Schienenanbindung der Stadt Lörrach an Basel aber ebenso wie die heute bereits diskutierte Taktverdichtung der Wiesental-S-Bahn eine reine Frage der Zeit, wenn die verkehrlichen Ziele in Richtung Klimaneutralität und Verkehrswende erreicht werden sollen, wie sie von der höheren Politik aus vorgegeben sind und in absehbarer Zeit sicher auch eingefordert werden.

Der nächste unbedingt erforderliche Schritt ist eine Entscheidung zugunsten eines prognosefähigen und zu Nachbarregionen kompatiblen Verkehrsmodells, sowie für die Erarbeitung eines übergeordneten Verkehrskonzeptes. Damit würde erst die Basis einer Faktenlage für weitere Entscheidungen geschaffen. Das Treffen dieser Entscheidungen ohne die zugrundeliegende Faktenbasis wäre hingegen nicht sachdienlich.

Der DBV ist gerne bereit, diese notwendigen Schritte im Dienste der Sache konstruktiv und im Rahmen seiner Verbandsaufgaben zu begleiten

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