Der Deutsche Bahnkunden-Verband erinnert an mehr Tempo bei der Umsetzung der Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehr. Wann wird in Deutschland aus dem „nice to have“ ein selbstverständliches „must to have“?
„Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern.“ (Artikel 4, Absatz 1, Satz der UN-Behindertenrechtskonvention).
Sind Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen in Deutschland im öffentlichen Personenverkehr unterwegs, sind sie immer noch mit verschiedensten Hürden und Barrieren konfrontiert, weshalb Fahrten oft zu Herausforderungen werden. Kleine und große Barrieren verhindern, dass für viele Menschen das Recht auf Mobilität gelebt kann.
Dabei wird die Möglichkeit sich in einer stetig mobilen und inklusiven Gesellschaft frei bewegen zu können für alle Menschen zunehmend immer wichtiger. Insofern spielt eine barrierefreie Mobilitätsinfrastruktur und damit ein entsprechender öffentlicher Personenverkehr eine entscheidende Rolle.
- Wer kennt das nicht, die Widrigkeiten, mit welchen wir alle im Alltag konfrontiert sind: Verspätete oder ausfallende Züge, umgekehrte Wagenreihungen Nicht funktionierende Toiletten an Bahnhöfen oder in Fahrzeugen, nach wie vor fehlende Rampen, defekte Aufzüge. All dies wirkt sich für Menschen mit besonderen Bedarfen noch viel gravierender aus. Auch funktioniert die Bereitstellung von Assistenzkräften oft schlecht oder gar nicht. Dazu müssen diese bei Inanspruchnahme zeitlich wesentlich im Voraus gebucht werden.
- Auch im digitalen Bereich bei Buchungen von Fahrkarten oder Fahrgastinformationen sind diese oft mangelhaft oder nicht vorhanden. Fehlende Durchsagen, keine Anzeigen.
- Das Reisen im Fernverkehr ist in den modernsten Triebfahrzeugen mangels barrierefreier Einstiegsmöglichkeiten oft nicht ohne fremde Hilfe möglich. Kostenfreie Reservierungen müssen umständlich über die Mobilitätsservicezentrale gebucht werden und sind im digitalen Zeitalter nicht in die herkömmlichen Buchungsvorgänge integriert.
Dies sind nur ein paar von vielen Beispielen.
Mobilität ist eine wesentliche Voraussetzung für persönliche, soziale und berufliche Entwicklung eines jeden Menschen, damit auch die Voraussetzung am gesellschaftlichen Leben inklusiv zu partizipieren und teilzuhaben.
Eigentlich war es politischer Konsens und vom Gesetzgeber gefordert, dass von allen beteiligten Mobilitätsakteure bis zum 1. Januar 2022 vollständige Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) gewährleistet wird. Diese Verpflichtung ist seit 2013 im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) festgeschrieben. Zwar haben Länder und Aufgabenträger ihre Regelungen novelliert, in Barrierefreiheit von Infrastruktur investiert oder Unterstützungsdienstleistungen für mobilitätseingeschränkte Personen geschaffen. In der Praxis ist aber hinsichtlich von reibungslosen Abläufen und Funktionalität von technischen Ausstattungen und Dienstleistungen – gelinde gesagt – häufig noch Luft nach oben.
Darüber hinaus ist Mobilität nicht nur eine gesetzgeberische Aufgabe. Mobilität ist ein Menschenrecht. So hat die Bundesrepublik Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention bereits im Jahr 2009 unterzeichnet und sich damit verpflichtet deren Inhalte im eigenen Land umzusetzen. Weshalb dies in weiten Teilen innerhalb vieler Jahre immer noch nicht geschehen ist oder geschieht ist vor allem für selbst Betroffene ein unhaltbarer Zustand.
Die Schaffung eines barrierefreien öffentlichen Personenverkehrs ist ein wesentlicher Schritt das ungehinderte Erreichen der Wohnung, des Arbeitsplatzes, von öffentlichen Stellen, Arztpraxen und weiterer Orte des gesellschaftlichen Lebens zu gewährleisten. Inwieweit die genannten Orte selbst barrierefrei sind, steht auf einem anderen Blatt.
Eine barrierefreie Verkehrsinfrastruktur ist aber unabdingbar, dass Menschen mit Behinderungen ihre Menschenrechte gleichberechtigt wahrnehmen können. Mobilitätslösungen müssen daher geeignet sein, der Vielfalt von Beeinträchtigungen und Bedarfen Rechnung zu tragen.
Grundsätzlich kann man sagen, dass Barrierefreiheit für 10 Prozent einer Bevölkerung zwingend ist. Dies sind Menschen mit unterschiedlichsten Bedarfen wie hinsichtlich des Sehens, des Hörens, der Motorik aber auch kognitive Bedarfe.
Für 30 bis 40 Prozent sind diese eine wesentliche Erleichterung. Hierunter fallen etwa Menschen, die vorübergehend eingeschränkt sind. Etwa durch einen Unfall oder eine Operation. Aber auch Reisende mit Kinderwägen, Fahrrädern oder sonstigem Gepäck.
Für den Rest der Bevölkerung bedeutet Barrierefreiheit schlicht Komfort.
Webseite des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen
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