Hand einer Skulptur aus Stein mit einer zusammengerollten Papierrolle. Foto: Helene Souza, pixelio.de
Hand einer Skulptur aus Stein mit einer zusammengerollten Papierrolle. Foto: Helene Souza, pixelio.de

Bahnkunden-Verband sieht unmittelbar vor der Einführung schon notwendigen Verbesserungsbedarf

„Schluss mit kompliziert & anstrengend“ kommentierte Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissung Ende März 2023 die beschlossene Einführung des 49 Euro-Ticket/Deutschlandticket. Ja, aus damaliger Sicht sah es wirklich so aus. Inzwischen ist Schluss mit „Schluss mit“, übrig bleibt „kompliziert & anstrengend“. Und das wird das neue Angebot von Tag zu Tag.

Den öffentlichen Nahverkehr in ganz Deutschland mit einem Fahrschein nutzen? Nein! Denn es gibt zahlreiche Ausnahmen und Sonderregelungen. Beispiele (ohne Gewähr, stündliche Änderungen möglich!):

  • Im „Bürgerbus“ ist es nirgendwo gültig. Heißt das Angebot aber „Anruf-Sammel-Taxi“, dann ist hier nur der übliche Fahrpreisaufschlag zu zahlen (Ausnahme: beim Verkehrsverbund Rhein-Neckar ohne Aufschlag).
  • In den Zügen der Rügenschen Bäderbahn auf der Insel Rügen ist für alle Fahrten zwischen Lauterbach Mole und Göhren ein Zuschlag als Tages- oder Wochenkarte zu zahlen. Für die Inselbahn auf Borkum gilt es gar nicht, zwischen Bad Doberan und Kühlungsborn ebenfalls nicht. Das Streckennetz der Harzer Schmalspurbahn darf damit fast komplett genutzt werden – aber nicht im Abschnitt Drei Annen Hohne – Brocken.
  • In Schleswig-Holstein gilt es in keiner Museumsbahn (weil „touristisches Angebot). Aber in Stuttgart darf damit die Standseilbahn genutzt werden (obwohl touristisches Angebot?). Für die Bergbahn in Heidelberg gelten sowieso andere Tarife.
  • In Kiel bei der Fördeschifffahrt gilt es. In Hamburg nur dann, wenn die Hafenfähren zum HVV-Tarif fahren. Im Verkehr zu den Nordseeinseln überhaupt nicht (Ausnahme: Sylt).
  • Fernverkehrszüge dürfen damit nicht genutzt werden. Aber: IC 2075 von Sylt (aber nur bis Niebüll). In Baden-Württemberg alle IC-Züge zwischen Stuttgart und Konstanz – aber nicht von Konstanz nach Kreuzlingen. In Thüringen, Bremen und Brandenburg/Berlin laufen aktuell Verhandlungen zur Anerkenntnis in IC-Zügen.
  • Für den Harz-Elbe-Express Berlin – Goslar muss für die Teilstrecke zwischen Berlin und Genthin (Landesgrenze) eine Fahrkarte gelöst werden. In Berlin und Brandenburg fahren die Züge als „Fernverkehr“, in Sachsen-Anhalt nicht.
  • Die Dresdner Verkehrsbetriebe bieten für den gesamten Bereich des Verkehrsverbundes Oberelbe (aber nur für diesen!) Erweiterungen gegen Aufpreis an.
  • Beim Verkehrsverbund Rhein-Neckar gilt es auch grenzüberschreitend nach Frankreich (Wissembourg und Lauterbourg). Wenige Kilometer weiter, in Baden-Württemberg, gilt es nicht für Fahrten nach Frankreich.
  • Nur in Nordrhein-Westfalen soll zum 1. Juni 2023 eine Zusatzkarte für die Nutzung der 1. Klasse eingeführt werden.

… und mit jedem Tag wird die Liste der Sonderregelungen größer. Die tarifliche Kleinstaaterei steht dem ehemaligen Grundgedanken des 49 Euro-Tickets diametral entgegen. Ziel war ursprünglich, dass sich kein Fahrgast mehr über Tarifwaben, Zonengrenzen und Bezeichnungen von Verkehrsmitteln informieren muss. Leider ist davon nicht viel übriggeblieben.

Hinzu kommen weitere Fallstricke und Ausnahmen, die allesamt nicht notwendig sind und vom Bahnkunden-Verband von Anfang kritisiert wurden:

  • Das Deutschlandticket soll es ausschließlich als Chipkarte geben. Nur bis zum 31. Dezember 2023 ist es auch als Papierausdruck erlaubt. Warum? Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing möchte gerne Erfolge als Digitalminister vorweisen und hat im Zwang zur Chipkarte offenbar eine Chance zur Profilierung gesehen.
  • Der gerne vorgebrachte Grund des nur digitalen Angebots, dass damit Verkehrsströme anonym nachverfolgt werden können, zieht nicht. Jedes Bundesland, manchmal auch jedes Unternehmen, hat seinen eigenen Datenstandard, der im Regelfall mit anderen nicht kompatibel ist. Die Chipkarte an sich ist ein in Plastik gegossener Papierfahrschein! Auch ist fraglich, ob zum jetzigen Zeitpunkt die Gültigkeit der Karten überall "richtig" ausgelesen wird.
  • Für den Kauf ist die elektronische Erreichbarkeit (E-Mail_Adresse) zwingend notwendig. Neben Menschen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – gegen die Nutzung elektronischer Kommunikation entschieden haben oder solche, die sie aus anderen Gründen nicht nutzen (z. B. Minderjährige, Touristen), sind von vornherein ausgeschlossen. Aber wichtig war ja nur „irgendwas digitales“ anzubieten.
  • Die Nutzung digitaler Bestellmöglichkeiten ist oft nicht datenschutzkonform, da z. B. der DB Navigator nach Meinung des Vereins Digitalcourage e. V. eine Datensammel-Krake ist und nicht den Vorgaben der DSGVO entspricht.
  • Der Verkauf als Jahresabonnement bzw. ohne Befristung ist eine weitere Hürde. Es ist ein Antrag (wir sind ja schließlich in Deutschland!) mit Angabe von vollständigem Namen, Geburtsdatum, Anschrift und Kontoverbindung notwendig. Auch muss der Antrag, so er denn schriftlich gestellt wird, eigenhändig im Original unterschrieben werden (so viel zur Digitalisierung). Manchmal ist bei Bestellung per Programm die Nutzung von Zusatzangeboten nicht möglich. Ganz spontan zum Automaten oder als Tourist das 49 Euro-Ticket am Flughafen lösen? Vergessen Sie‘s. Die "steinzeitliche Digitalisierung" in Deutschland macht Ihnen da einen dicken Strich durch die Rechnung! Sie bürdet den Unternehmen vermeidbare Mehrkosten auf, die durch die Abwicklung der unbaren Zahlungen entstehen. Ein Verkauf gegen Bargeld - also anonym - ist ausgeschlossen.
  • Weil die Daten erst einmal eingegeben und geprüft und die Karten mit der Briefpost versandt werden, braucht es eine Vorbestellfrist. Je nach Verkaufsstelle müssen neue Abonnements zwischen 10 und 20 Tage vorher abgeschlossen werden.

Der Deutsche Bahnkunden-Verband fordert deshalb von den beteiligten Bundesministerien, Bundesländern und Verkehrsunternehmen:

  1. Einheitliche, verbindliche Informationsmöglichkeit (Webseite, Telefon) für die Kunden auf www.deutschlandtarifverbund.de.
  2. Im ersten Monat größtmögliche Kulanz bei Kontrollen.
  3. Nach einem Jahr alle Beteiligten - auch die Kundenverbände - zu einer Evaluation einladen um das Angebot weiterzuentwickeln.
  4. Deutlich und flächendeckend hinzuweisen (sowohl in den Auskunftsmedien als auch in den Fahrzeugen/Anzeigen an den Haltestellen/Durchsagen), wenn das 49 Euro-Ticket nicht gültig ist.
  5. Die vorhandenen Nutzungshürden zu beseitigen: Verkauf auch gegen Bargeld und als Papierfahrschein, auch als tatsächliche Monatskarte mit gleitender Gültigkeit z. B. vom 5. Tag bis 4. des Folgemonats. Die Angabe persönlicher Daten und Vorabregistrierung ist nicht notwendig.
  6. Deutlicher als bisher darauf hinweisen, dass es sich um ein Jahresabonnement handelt.
  7. Ein preisliches Angebot mindestens für Transferleistungsempfänger, dass sich am Anteil für Mobilität im Bürgergeld orientiert.

„Das Deutschlandticket ist modern, digital und einfach“? Alles andere als das, verehrter Herr Dr. Wissing! Bitte sorgen Sie dafür, dass diese Behauptung endlich Realität wird. Der Bahnkunden-Verband wird mit seinen Mitgliedern dafür kämpfen, dass es wirklich modern – nämlich einfach und verständlich – wird.

 

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