Intercity-Zug steht am Bahnsteig B im Bahnhof Chemnitz Foo: Heiko Auerswald, Deutsche Bahn AG
Intercity-Zug steht am Bahnsteig B im Bahnhof Chemnitz

Kulturhauptstadt auf dem Abstellgleis? Chemnitz und der Fernverkehr

Chemnitz, als drittgrößte Stadt Sachsens und aufstrebendes wirtschaftliches Zentrum, leidet seit Jahrzehnten unter einer mangelhaften Anbindung an den Schienenfernverkehr. Trotz erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung, einer stetig wachsenden Bevölkerungszahl und der bevorstehenden Rolle als Kulturhauptstadt Europas 2025 wird die Stadt von der Deutschen Bahn stiefmütterlich behandelt. Zwar wurde im Juni 2022 mit der Verlängerung der Intercity-Linie 17 nach Chemnitz ein erster Schritt in die richtige Richtung unternommen, doch bereits im November 2024 wurde diese Verbindung wieder eingestellt. Damit ist Chemnitz erneut de facto vom Fernverkehr abgeschnitten. Dies ist nicht nur eine verkehrspolitische Fehlentscheidung, sondern auch ein wirtschaftlicher Nachteil für die gesamte Region.

Die Deutsche Bahn begründete die Einstellung der Intercity-Verbindung mit zu niedrigen Fahrgastzahlen. Diese Argumentation greift jedoch zu kurz. Die mangelnde Attraktivität der Verbindung resultierte nicht aus fehlendem Interesse, sondern aus den betrieblichen Rahmenbedingungen. Die Fahrzeit von über drei Stunden zwischen Chemnitz und Berlin war im Vergleich zur Autobahn oder gar zum Fernbus schlichtweg nicht konkurrenzfähig. Hinzu kamen Verspätungen, unzuverlässige Fahrzeuge und eine schlechte Anbindung an weitere Fernverbindungen. Statt den Intercity schrittweise zu verbessern und langfristig in das Netz zu integrieren, wurde er voreilig als gescheitert erklärt.

Parallel dazu verschlechterte sich auch die regionale Anbindung. Die Regionalexpress-Linie RE6, die als wichtigste Verbindung nach Leipzig dient, leidet seit dem Fahrplanwechsel im Dezember 2024 unter massiven Problemen. Zahlreiche Zugausfälle, Verspätungen und technische Defekte an den eingesetzten Ersatzzügen sorgen für berechtigten Unmut bei den Fahrgästen. Eine stabile, zuverlässige Verbindung nach Leipzig ist jedoch essenziell, da Leipzig als nächster Fernverkehrsknotenpunkt für Chemnitz fungiert. Doch ohne eine funktionierende regionale Anbindung verliert selbst eine spätere Fernverkehrsanbindung an Attraktivität.

Die strukturellen Defizite im Schienenverkehr von und nach Chemnitz lassen sich nicht nur auf betriebliche Mängel der Deutschen Bahn zurückführen, sondern auch auf eine verfehlte Verkehrspolitik. Während Milliarden in den Ausbau der Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen den großen Metropolen investiert wurden, wurde der Fernverkehr in den sogenannten "B-Regionen" systematisch zurückgefahren. Chemnitz ist hierbei eines der deutlichsten Beispiele: Eine Stadt mit über 250.000 Einwohnern ist die einzige deutsche Großstadt, die jahrzehntelang über keine direkte ICE- oder IC-Anbindung verfügt. Dies wäre in vergleichbaren Regionen in anderen europäischen Ländern undenkbar.

Um dieser Fehlentwicklung entgegenzuwirken, sind tiefgreifende strukturelle Maßnahmen erforderlich. Erstens muss die Intercity-Linie 17 unverzüglich reaktiviert werden – jedoch nicht in ihrer bisherigen Form, sondern mit einer verkürzten Fahrzeit, besserem Fahrzeugmaterial und einer engeren Taktung. Zweitens ist der zweigleisige Ausbau und die vollständige Elektrifizierung der Strecke Chemnitz–Leipzig längst überfällig, damit auch über diese Achse Fernzüge zugeführt werden können. Seit Jahren werden Studien vorgelegt und Machbarkeitsanalysen durchgeführt, doch konkrete Fortschritte sind kaum sichtbar. Die geplante Elektrifizierung bis 2030 ist ein Armutszeugnis für die verkehrspolitische Prioritätensetzung auf Bundes- und Landesebene. Drittens muss Chemnitz in das langfristige Fernverkehrskonzept der Deutschen Bahn integriert werden. Denkbar wäre beispielsweise eine Verlängerung der bestehenden IC-Linie zwischen Leipzig und München oder die Einrichtung einer Direktverbindung nach Frankfurt am Main.

Die fehlende Fernverkehrsanbindung von Chemnitz ist nicht nur ein Problem für Pendler*innen, sondern auch für Unternehmen, den Tourismus und die gesamte Stadtentwicklung. Während andere Regionen gezielt in ihre Verkehrsinfrastruktur investieren, wird Chemnitz abgehängt. Diese verfehlte Verkehrspolitik muss dringend korrigiert werden, damit die Stadt ihr wirtschaftliches und kulturelles Potenzial ausschöpfen kann. Es liegt nun an der Politik, an der Bahn und dem VMS, gemeinsam Druck auszuüben, um den Menschen in Chemnitz endlich die Anbindung zu geben, die sie verdient haben.

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