Regionalexpress steht am Bahnsteig 3 des Bahnhofs Berlin-Lichterfelde Ost, mehrere wartende Personen sichtbar. Foto: Christian Schultz
Regionalexpress steht am Bahnsteig 3 des Bahnhofs Berlin-Lichterfelde Ost, mehrere wartende Personen sichtbar.

Anhalter Bahn: Ist ein unverzüglicher Start des viergleisigen Ausbaus realistisch?

Das Schienennetz in bzw. um Berlin weist inzwischen etliche Kapazitätsengpässe auf. Nachdem der Bahnhof Berlin-Spandau bereits im Jahr 2011 und die Stadtbahnstrecke Berlin-Charlottenburg – Berlin Ostbahnhof am 18. Dezember 2013 von der ehemaligen DB Netz AG für „überlastet“ erklärt wurden, folgte am 11. November 2019 eine Überlastungserklärung auch für den Abschnitt Berlin-Spandau Ost bzw. Berlin-Gesundbrunnen – Berlin Hbf – Berlin Südkreuz – Großbeeren Süd. Am 02. Dezember 2020 wurden schließlich auch die Streckenabschnitte Berlin-Spandau – Nauen und Wustermark – Rathenow zu „überlasteten“ Schienenwegen erklärt.

Als „überlastet“ gelten gemäß §1 Eisenbahnregulierungsgesetz (ERegG) Abschnitte, auf denen der Nachfrage nach Zugtrassen auch nach Koordinierung nicht mehr in „angemessenem Umfang“ bzw. nur eingeschränkt entsprochen werden kann.

Auf dem viergleisigen Abschnitt Berlin Hbf – Berlin Südkreuz verkehrten z. B. im März 2020 insgesamt 139 Fernverkehrszüge und 149 Züge des Regionalverkehrs.

Viergleisiger Ausbau der Anhalter Bahn u. a. von Brandenburger Kommunen gefordert

Brandenburger Kommunen und Berliner Bezirke entlang der Anhalter Bahn haben sich zwischenzeitlich zusammengeschlossen und fordern den viergleisigen Ausbau der Anhalter Bahn zwischen den Bahnhöfen Berlin Südkreuz und Jüterbog. Die hierzu erstellte „Erklärung zum Ausbau der Anhalter Bahn“ wurde am 20. Januar 2025 vorgestellt. Diese beinhaltet die folgenden vier zentralen Forderungen:

  • die sofortige Aufnahme des viergleisigen Ausbaus der Anhalter Bahn zwischen Berlin Südkreuz und Jüterbog samt Verkehrsknotenpunkt in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans. Es darf keine Verzögerung mehr geben!

  • den unverzüglichen Start der erforderlichen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Jede Minute zählt, um die Infrastruktur zukunftsfähig zu machen und eine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene zu ermöglichen.

  • die Sicherung und den Ausbau der verbindenden Güterverkehrsstrecken. Die wirtschaftliche Entwicklung der südwestlichen Hauptstadtregion mit ihren bedeutenden Industrie- sowie Logistikstandorten – allen voran das bundesweit bedeutende Güterverkehrszentrum Berlin-Süd Großbeeren - steht auf dem Spiel, inklusive tausender Arbeitsplätze.

  • die Umsetzung kurzfristiger Optimierungsmaßnahmen durch die DB InfraGO. Wir brauchen für den Zeitraum bis zur Fertigstellung des viergleisigen Ausbaus eine Lösung, um den Verkehr besser zu koordinieren um bspw. das Erreichen von Anschlüssen zu gewährleisten.

Nord-Süd-Verbindung Berlin: Unnötige Engpässe bereits seit Inbetriebnahme

Nicht nur im Streckenabschnitt Berlin-Spandau bzw. Berlin-Gesundbrunnen – Berlin Hbf – Großbeeren Süd sind Engpässe leider auf eine Schieneninfrastruktur zurückzuführen, die bereits bei ihrer Erstellung im Zuge der Umsetzung des sogenannten „Pilzkonzepts“ unzureichende Kapazitätsreserven aufwies. So ist u.a. auch die Blockteilung gleich in mehreren Streckenabschnitten nicht optimal. Blockabschnitte, deren Länge größer und damit die Belegungszeit durch einen Zug länger ist als in angrenzenden Abschnitten, führen jedoch zwangsläufig zu Einschränkungen der Leistungsfähigkeit und Durchlässigkeit der Strecke. Dies betrifft u. a. auch den Abschnitt Berlin Südkreuz – Großbeeren Süd. Hier beträgt die Länge der Blockabschnitte zum Teil 2,1 bis 2,3 Kilometer. Zwischen Großbeeren Süd und Birkengrund sind es sogar 2,7 bzw. 3,3 Kilometer.

Entlastung durch Inbetriebnahme der Dresdner Bahn

in Großbeeren Süd fädeln derzeit (noch) viele Verkehre vom Berliner Außenring über die eingleisige Verbindungskurve niveaugleich in die stark belastete Anhalter Bahn ein. Dies betrifft z. B. im Fernverkehr die Intercity-Linie 17 (Warnemünde – Rostock – Berlin – Dresden) und die Eurocity-Linie 27 (Westerland/Kiel/Hamburg – Berlin – Prag/Budapest/Graz), aber auch Leerfahrten vom/zum ICE-Betriebswerk Berlin Rummelsburg. Die daraus resultierenden Kapazitätseinschränkungen werden durch die Tatsache verschärft, dass keine Züge aus Richtung Außenring in die Anhalter Bahn einfädeln können, solange ein Regionalzug am Bahnsteig in Großbeeren hält: Abzweig und Bahnsteig liegen hier in einem Blockabschnitt. Eine Entspannung dieses Problems erfolgt nunmehr jedoch mit der überfälligen Inbetriebnahme der Dresdner Bahn am 14. Dezember 2025, die dann für Verkehre der Relation Berlin – Dresden – Prag und von/zum Flughafen Berlin-Brandenburg usw. endlich zur Verfügung steht und somit einen wichtigen Beitrag für einen stabileren, pünktlicheren Betrieb in der Region leistet.

Ertüchtigung von Bestandsstrecken muss Vorrang haben

Forderungen hinsichtlich einer Maximallösung in Form des unverzüglichen Starts der erforderlichen Planungs- und Genehmigungsverfahren für den viergleisigen Ausbau der Anhalter Bahn sind jedoch unrealistisch! Ein derartiger Ausbau ist speziell im dicht bebauten Stadtgebiet Berlins kostenaufwändig und mit einem langwierigen Planungs- und Genehmigungsverfahren verbunden. Im Fall der Dresdner Bahn dauerten beispielsweise die Planfeststellungsverfahren zur Erlangung des Baurechts in den drei Abschnitten rund 20 Jahre!

Zudem wird bundesweit inzwischen an vielen weiteren Infrastrukturprojekten geplant. Für den zügigen Fortgang fehlen letztlich jedoch entsprechende Planungsressourcen. Zudem sind künftige Finanzierungsmöglichkeiten unsicher.

Auch gibt es bezüglich der Realisierung der einzelnen Infrastrukturmaßnahmen des Projekts i2030 („Mehr Schiene für Berlin und Brandenburg“) immer neue Verzögerungen. In benanntem Maßnahmenpaket ist dabei noch nicht einmal der überfällige zweigleisige Ausbau bzw. die Elektrifizierung der „Ostbahnstrecke“ Berlin – Müncheberg (Mark) – Küstrin-Kietz – Grenze Deutschland/Polen enthalten.

Wichtiger ist stattdessen die Optimierung der bestehenden Infrastruktur, verbunden mit der teils ohnehin notwendigen Streckensanierung bzw. -ertüchtigung. Hierbei lassen sich nämlich noch etliche Kapazitätsreserven erschließen.

Um beispielsweise geringere Blockbelegungszeiten und damit Zugfolgezeiten erreichen zu können, ist eine Optimierung der Blockabschnitte u. a. auch auf der Anhalter Bahn dringend notwendig. Die Zielblocklänge sollte dabei auf 1,0 bis 1,3 Kilometer reduziert werden. Diese Maßnahme trägt nicht zuletzt zu einer verbesserten Pünktlichkeit und Betriebsstabilität bei.

Ausbau des Regionalbahn-Halts Lichterfelde Ost

Neben Berlin Jungfernheide wurde seinerzeit u.a. auch der Halt in Berlin-Lichterfelde Ost baulich lediglich als Haltepunkt ausgeführt; ein Überholen von haltenden Zügen des Regionalverkehrs z. B. durch ICE ist dort also nicht möglich. Zughalte wirken sich jedoch unmittelbar auf die Mindestzugfolgezeit (dies ist der betrieblich kleinste zeitliche Abstand zweier aufeinander folgender Züge) aus.

Unverständlich auch: In Lichterfelde Ost ist neben den beiden Streckengleisen des Fern- und Regionalverkehrs ausreichend Platz für zwei Ausweichgleise vorhanden. So waren bis zur Stilllegung der ehemaligen Bahnanlagen im Jahr 1952 neben dem S-Bahnsteig sogar zwei Mittelbahnsteige für den Fern- und Regionalverkehr vorhanden. Auch dieser Fall ist leider ein ärgerliches Beispiel einer zu knapp bzw. nicht weitsichtig bemessenen Infrastruktur und muss korrigiert werden. Im Rahmen der Planungen für einen entsprechenden Umbau des heutigen Haltepunkts muss als langfristige Option jedoch der viergleisige Ausbau der Anhalter Bahn und damit eine aufwärtskompatible Ertüchtigung der Infrastruktur in den Planungen berücksichtigt werden.

Darüber hinaus ist für den Regionalbahnhalt in Großbeeren eine vergleichbare Lösung möglich.

Mehr Kapazität durch längere Züge

Auch durch den Einsatz längerer Züge kann die Kapazität erhöht bzw. auf Nachfragesteigerungen reagiert werden. Dies bedingt jedoch zumindest teilweise die Verlängerung der Bahnsteige. Derzeit betragen die Bahnsteiglängen beispielsweise in Lichterfelde Ost, Großbeeren oder Trebbin gerade einmal 140 Meter. Die Verlängerung der betroffenen Bahnsteige (für die Regionalexpresslinien 3 und 4) auf eine Länge von 220 Metern ist daher eine weitere Möglichkeit der Kapazitätserhöhung.

Die Bestellung eines weiter verdichteten Zugangebots durch den Aufgabenträger ist vor dem Hintergrund der ab dem kommenden Fahrplanwechsel bereits geplanten punktuellen Angebotsreduzierungen dagegen unrealistisch.

Ertüchtigung Strecke Jüterbog - Seddin

Unter dem Titel „i2045“ stellte der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Landesgruppe Ost, im Juni 2024 eine Studie vor, die Maßnahmen zum längst überfälligen Ausbau der Kapazitäten für den Schienengüterverkehr bzw. zur Beschleunigung und Fahrplanstabilität beschreiben. In dieser Studie wird u.a. der Ausbau bzw. die Elektrifizierung des Abschnitts Jüterbog – Treuenbrietzen – Seddin und damit eine verbesserte Anbindung des Rangierbahnhofs Seddin vorgeschlagen. Auch diese Infrastrukturmaßnahme würde der Entlastung der Anhalter Bahn bzw. als Resilienzstrecke dienen. In diesem Zusammenhang kann zudem eine Elektrifizierungslücke geschlossen werden.
Die Modernisierung benannten Abschnitts sollte neben der Elektrifizierung auch die Erhöhung der Streckengeschwindigkeit auf 120 km/h umfassen. Kreuzungsmöglichkeiten auf dieser eingleisigen Strecke sollten in

  • Beelitz-Stadt
  • Buchholz (Zauche)
  • Treuenbrietzen und
  • Tiefenbrunnen

vorgesehen werden. Wegen des Güterverkehrs von bzw. zum Rangierbahnhof Seddin ist eine Nutzlänge der Kreuzungsgleise von jeweils 750 Metern sinnvoll. Ebenfalls gehört zu dieser Infrastrukturmaßnahme der Wiederaufbau der am 05. Juli 1995 stillgelegten 2,0 Kilometer langen Verbindungskurve Abzweig Jüterbog Neues Lager – Abzweig Dennewitz an der Strecke Berlin – Bitterfeld.

Ausbau der Strecke Berlin – Dessau – Bitterfeld

Die Strecke Berlin – Dessau – Bitterfeld stellt eine wichtige Alternativ- bzw. Entlastungsroute zur Relation Berlin – Lutherstadt Wittenberg – Bitterfeld ( – Halle (Saale) / Leipzig) dar. Leider trägt der gegenwärtige Zustand der Infrastruktur diesem Umstand nur sehr eingeschränkt Rechnung.

Immerhin laufen derzeit in der Relation Berlin – Dessau aber die beiden Planfeststellungsverfahren für die Ertüchtigung des Abschnitts Wiesenburg (Mark) – Medewitz – Roßlau. Ausbauziel ist hier eine Fahrzeitreduzierung bei gleichzeitig umfassender Modernisierung der Infrastruktur. Es soll nunmehr eine durchgehende Geschwindigkeitserhöhung von zur Zeit lediglich 100 km/h auf künftig 160 km/h für Reisezüge bzw. 120 km/h für Güterzüge realisiert werden.

Fazit

Grundsätzlich muss der Erhalt bzw. die Ertüchtigung der vorhandenen Infrastruktur Vorrang vor einem Neubau haben. Das gilt für die Verkehrsträger Schiene und Straße gleichermaßen. Unverständlich in diesem Zusammenhang: Trotz der aktuell erheblichen Probleme hinsichtlich des Infrastrukturzustands bzw. hohen Sanierungsbedarfs sollen in den kommenden Jahren nun etliche weitere Straßenneubauprojekte (!) umgesetzt werden.

Die Vielzahl der heute kapazitätseinschränkenden Faktoren im Bereich der Schieneninfrastruktur verursachen im Nachhinein leider hohe Kosten für die Korrektur, verursachen darüber hinaus Streckensperrungen und bedeuten damit wiederum erhebliche Erschwernisse für Fahrgäste und Güterkunden gleichermaßen. Das zur Begründung der Ist-Situation gern angeführte Argument einer „sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel“ ist absurd: Die Baupreise sind in den vergangenen Jahren „explosionsartig“ gestiegen, speziell in den bahnrelevanten Bereichen Brückenbau, Oberleitungen, Schallschutzwänden oder der Leit- und Sicherungstechnik!



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